Von Gustav Ernst Köhler
(1996 veröffentlicht in der Festschrift des Gesangvereins "Sängerkranz" 1896 Bersrod e. V.)
Ein wenig abgesetzt vom großen Getriebe und doch in glücklicher Nähe der Verkehrswege, liegt unser Bersrod, von schönen Wäldern umrahmt, in einem Seitental der Wieseck. Noch mehr und von viel tieferen Wäldern umgeben, müssen wir uns das Dorf in der Vergangenheit vorstellen. Wie der Name sagt, ist es ein Rodungsort, wie sie in unseren Breiten zwischen 800 und 1100 entstanden sind, und wer vom Nordrand des Walberbergs über den Ort hinweg und über das "Rodfeld" nach Norden blickt, kann sich gut vorstellen, wie die Lichtung sich inmitten der ursprünglichen Waldungen ausgebreitet haben mag.
Wer waren die Leute, die hier rodeten, woher kamen sie? Wir haben keine Nachrichten aus dieser fernen, schriftlosen Zeit. Wir wissen nur, dass in jenen Jahrhunderten die Zahl der Menschen zunahm und sie neues Siedlungsland brauchten, weshalb sie in die "Mark" gingen und neu gerodetes Land unter den Pflug nahmen, Land gab es noch genug und die Marken waren die bislang noch un- oder extensiv genutzten Grenzräume. Für unser Dorf können wir uns eine Besiedlung eigentlich nur von Westen, von Buseck her, vorstellen, dafür sprechen alle geografischen und politischen Gegebenheiten. Das Gebiet öffnet sich nach Westen, von dort her, dem Wasser entlang, wird es erschlossen worden sein.
Es wäre verkehrt, wenn man sich eine Ortsgründung so vorstellen würde, dass eine Gruppe Siedler eines Tages in den Urwald gezogen sei und, nachdem sie die günstigste Stelle gefunden, zu roden und das Dorf zu errichten begonnen hätte. Mit Professor Erwin Knauß, dem wohl bedeutendsten, sich auch mit Ortsgeschichte befassenden, heimischen Historiker können wir annehmen, dass praktisch alle günstigen Wohnplätze unseres Landes, soweit sie gutes Wasser und anbauwürdiges Land besaßen, schon seit der Sesshaftwerdung der Menschen genutzt worden sind. Immer in der jeweils der Zeit entsprechenden Form. Also wird es auch auf dem Gelände, auf dem jetzt Bersrod liegt, schon einen oder mehr Einzelhöfe gegeben haben. An diese wurden nach und nach neue gereiht. Die Dörfchen waren winzig klein; nicht alle überlebten. Andere blieben stecken wie unser Nachbar-Rodeort Winnerod, das über die ersten vier oder sechs Höfe nie hinausgekommen ist.
Was bedeutet der Ortsname? Auch wir wissen das nicht. Wir machen es uns leicht und nehmen an, dass er von einem Vornamen Bär und Bernd (aus Bernhard) abgeleitet ist, obwohl ein Namensträger nirgends vorkommt. Im Gegensatz zu Hattenrod; dort ist ein Ritter Hatto tatsächlich nachweisbar. Wie müssen bei Vermutungen bleiben. Sicher ist nur, dass die leibevoll gepflegte Geschichte von dem Wirberger Mönch Bero, der Bersrod gegründet haben soll, eine Legende ist. Bevor die ersten Augustiner auf den Wirberg kamen, bestand das Dorf schon lange, und sie gründeten überhaupt keine Dörfer, die Zeit war zu ihrer Zeit vorbei.
Mit den Mönchen, mit der Entstehung heimischer Klöster begann aber die Ära der Schriftlichkeit, die Urkunden entstehen, in denen die Mönche ihren Besitz und ihre Rechtsgeschäfte sichern und die uns Nachricht geben über frühes Geschehen. Die erste Urkunde, die Bersrod nennt, ist eine undatierte Wirberger aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts über eine Schenkung von Landbesitz in "Birnesrode". Sie wird auf 1266 bis 1286 datiert nach dem Vorkommen des darin genannten Probstes Baldewin.
In den folgenden Zeiten nimmt die Anzahl erhaltener Urkunden zu, in Bersrod, das weder eine ortseigene Herrenfamilie hat und nicht viel Reichtum, weniger als andernorts, aber wir erfahren schon etwas über Eigentums- und Rechtsverhältnisse. Große Erkenntnisse aber gewinnen wir daraus nicht, es sind wie in der ganzen Nachbarschaft die sich abwechselnden Besitz- und Lehensträger, denen man zinsbar, lehens- und zehntpflichtig ist: Die Nordecker (von Nordeck zu Rabenau), die Busecker (von Buseck genannt Münch), auch von Trohe, seltener die von Saasen, die Raue und Güldener als weltliche Herren, und die geistlicher Herren, die Klöster Arnsburg und in erster Linie, später die ihnen folgenden Grünberger Antoniter, die Wirberger bis zu ihrem Untergang, seltener bei uns Schiffenberg. Zu diesen stoßen später die Schenke (zu Schweinsberg) und die neuadeligen Zwierleins. Unter diesen Familien und Abteien wechseln die Besitze und Rechte. Die Geschlechter sind untereinander versippt, auf den Erb- und Heiratswege kommt manches Gut durch alle hindurch nach etlichen Generationen wieder an die ersten Namen. Es bringt uns wenig, das im Detail zu verfolgen, und selbst wenn wir es tun, bleibt es bei der Erkenntnis: Bis ins ausgehende Mittelalter wissen wir von unserer Geschichte so gut wie nichts. Dass der Ort zum Busecker Tal gehört, und dass er Bestandteil des Sedesbezirks Winnerod war, zusammen mit Albach, Hattenrod und Burkhardsfelden ist alles, was gesichert ist.
Licht wird es erst mit den Steuerlisten, welche die Kanzleien in Buseck und Gießen im 16. Jahrhundert anzulegen beginnen, Bersrod betreffend ist die älteste die Türkensteuerliste von 1544; 13 Namen, die vielleicht 13 Haushalten entsprechen, sind darin verzeichnet, was auf etwa 60 bis 70 Einwohner schließen lässt, das ist nicht viel, aber für das ganze Busecker Tal schätzt man um diese Zeit auf wenig über 700. Wir erfahren nun die ersten Bersröder Familiennamen: Born, Bauernfeind, Bott, Jung, Kutscher, Schäfer, Schneider, Spahr, Waldschmidt, Wagner. Born war der am Brunnen wohnende; Bauernfeind ein Zehnt- oder andere Abgaben-Einnehmer; Bott der Bote, Jung ist klar, Kutscher aber ist kein Berufsname wie Schäfer und die klar erkennbar anderen, sondern das Bersrod uralte Metronymikon aus Guta; Spa(h)r schließlich ist der Sperling, der Spervogel.
Im Jahre 1629 wird unser Ort knapp 100 Einwohner gezählt haben, etwa halb soviel als Reiskirchen, aber nicht weniger als Burkhardsfelden; dann kommen die für unsere Heimat verheerenden Jahre des Dreißigjährigen Krieges. Zwar haben wir keine örtlichen Nachrichten, aber wenn es heißt, dass gerade das Busecker Tal verwüstet, verheert, verbrannt und ausgeraubt worden sei, wird das auch für unser Dorf gelten. Die letzten Kriegsjahre, der so genannte Hessenkrieg mit dem Einfall der Kasselaner waren die schlimmsten; auch in Winnerod kann kein Gottesdienst mehr gehalten werden, die Kirche ist verwüstet, die Kanzel von den Schweden zu Brennholz zerschlagen, der Pfarrer nach Reiskirchen ausgewichen. Dort schreibt er die für uns ältesten Eintragungen in das dortige Kirchenbuch ein; zwei Handvoll Menschen werden genannt. Noch 1653 erscheint zum Abendmahl, zur "Communion auf Pfingsten nur eine einzige Person", Johannes Becker's Ehefrau.
Und doch waren die Menschen nicht alle umgekommen, viele flüchteten in den Schutz der Stadtmauern und in andere Landstriche und kamen heim, sobald die Lage es zuließ. Das vielzitierte "Verzeichniß alles Menschen Seelen" des Buseckertals, im Jahre 1669 erstellt, weist für Bersrod 111 Einwohner auf, die in 18 Häusern "mit Rauch", mit Herdstellen, leben. Es ist vor Albach das zweitkleinste Dorf unter den Talgemeinden; zum Vergleich, Reiskirchen hat 38 Häuser, in denen 187 Menschen leben.
Nun beginnen auch die örtlichen Quellen zu sprechen, die "Kasten"-Rechnungen ab 1631. Das sind die kirchlichen Ein- und Ausgabeaufzeichnungen, die der von Martini auf Martini abrechnende Kastenmeister macht. Den Kirchen-"Kaste" hat es wirklich gegeben, darin wurde Geld, aber auch verschiedene Urkunden aufbewahrt, wir erfahren, dass man ihn im Kriege aufgebrochen hatte. Noch wichtigere Quellen sind die ab 1694 vorhandenen Bürgermeister-Rechnungen, aus diesen erfahren wir, was alles an Steuern und Abgaben eingesammelt und abgeliefert wurde, welche Einnahmen und Ausgaben die sich selbstverwaltende Gemeinde hatte, aber auch die Namen der Bürgermeister, der Handwerker, Wirte oder Gutsverwalter, überhaupt eine Fülle von Details, aus denen sich schon ein lebendiges Bild jener Zeit zusammensetzen lässt.
Zu Ende des 17. Jahrhunderts bringen wieder Kriege die Menschen in Not, die Franzosen nutzen die Schwächung des Reiches wegen der Türkenkriege, sie erobern und verwüsten die Pfalz. Bei uns ziehen Truppen durch und fouragieren, müssen verpflegt werden, mit Heu und Getreide beliefert, mit Kriegsfuhren bedient. In diesen Zeiten ist das Amt des jeweils für ein Jahr aufgestellten Bürgermeisters, der die drückenden Abgaben einzutreiben hat, nicht sehr begehrt. Unter ihnen und als Gemeindeschreiber beginnen die Lindenstruth's eine große Rolle zu spielen. Trotzdem versucht man es in diesen Zeiten mit einer eigenen Schule, Johann Kutscher nennt sich 1698 als Schulmeister. Es wird nun eine Winterschule gewesen sein, die Schule bleibt noch eine Zeit am Pfarrort, das ist Winnerod. Dorthin müssen die Bersröder auch zum Sonntagsgottesdienst, nur drei "Predigten" im Jahr hält der Perner in Bersrod, obwohl sie dort mit großen Opfern die Kirche wieder gut in Stand gesetzt haben, mit Hilfe von "Mäurern aus Tyrol". Um 1704 wird auch ein eigenes Schulhaus gebaut, Johannes Stroh, der bislang Lehrer in Winnerod war, bezieht es und es bleibt Schule bis 1834.
Mit Pfarrer Heinrich Bergen, der 1717 in Winnerod aufzieht, kommt nach dem als Hexenmeister angeklagten und schließlich in Gießen wegen sittlicher Verfehlungen amtsenthobenen Pfarrer Steindecker wieder Ruhe und Ordnung in die kirchliche Versorgung. Aber in der von Johann Lindenstroh und Melchior Hofmann an den Ysenburger Grafen gerichteten Beschwerdeschrift wird dennoch lebhaft Klage geführt über den weiten, schwierigen Fußweg und unregelmäßige Versorgung. Man will eben die Kirche im Dorf haben, oder, wenn das nicht geht, zur Beuerner angeschlossen werden, deren Pfarrer sich bereit erklärt hat, in Bersrod Gottesdienst zu halten. Den Anschluss an Beuern werden vornehmlich die Lindenstruth's betrieben haben, die dort inzwischen eine noch bedeutendere Rolle spielten als in Bersrod. Aber es wird nichts daraus, wie wir wissen, und als die Missstimmungen über den Kostenanteil an den vielen nötigen Baumaßnahmen an der Winneröder Kirche und dem Pfarrhaus behoben waren, gab es wieder lange Zeiten schönster Eintracht. Und sie tun gut daran, den Frieden zu genießen, denn lange soll er den Menschen auch in diesem Jahrhundert nicht beschieden sein.
1750 wird in mancher Beziehung ein denkwürdiges Jahr: Die "Rote Ruhr" erreicht auch unser Dorf und fordert vor allem unter den Kindern ihre Opfer, doch auch Melchior Lindenstruth erliegt ihr, der Herrschaftliche Zöllner, der im Dorf besondere Bedeutung genoss. Aber noch einem Größeren wird 1750 das Sterbejahr, dem Erbsaß von Winnerod, den Fuldischen Geheimen Rat Friedrich Ludwig von Buseck genannt Münch. Sein auch in Bersrod erheblicher Besitz, aus dem jedes Jahr 19 Achtel Korn und ebensoviel Hafer nebst 6 Wagen Heu ins Hofgut von Winnerod zu liefern waren, kommt auf dem Erbwege später an die Nordecker. Der Gutsherr, den man zu vielen Angelegenheiten hörte und entscheiden ließ, war der letzte einheimische Adelige an diesem Platz.
Nun beginnt Friedrich der Große mit dem Einfall in Sachsen 1756 den Siebenjährigen Krieg um den Besitz von Schlesien und der Landgraf steht auf der Seite des Kaisers gegen ihn. In der Bürgermeister-Rechnung von 1759 lesen wir von etlichen Kriegskosten, und die Franzosen, die Freunde, sind im Nehmen eher rigoroser als die Preußen, die Feinde, aber beide wollen sie Geld, Essen und Futter, sodass sich die Gemeinde zur Bezahlung hoch verschulden muss. 1759/60 lieferten sich die Franzosen und ihre Gegner in unserem Raum heftige Gefechte und 1762 war unsere Heimat wieder Kriegsgebiet. In diesem Jahr entstanden die Schanzen der Linie Grünberg-Wirberg-Reinhardshain und Prinz Conde hatte einmal sein Hauptquartier im Winneröder Gutshaus. 1763 geht dieser Krieg mit dem Frieden von Hubertusburg endlich zu Ende - dass es kaum mehr als eine Atempause zum nächsten sein würde, wussten die Menschen nicht. Sie gingen mit neuem Mut und Willen an ihre Aufgaben. Es gab eine umfangreiche Kirchenrenovierung; überall wurden Landvermesser tätig, jetzt entstehen die genauen Grenz- und Flurkarten, und es entstehen die Chausseen, die befestigten Landstraßen. Alle Gemeinden müssen dabei mitbezahlen. In der Folge finden wir unter den Abgaben den Posten Chausseekosten regelmäßig.
Woher kommt aber das viele Geld, das zu all dem gebraucht wird? Aus Bersrod's Reichtum, aus dem großen, schönen Wald, der das Dorf umgibt. Je knapper das Holz allenthalben wird, desto schönere Erlöse lassen sich erzielen - und desto mehr wird es gestohlen, "gefrevelt", wie man sagte. Der Schütz, die Märker, auch Leute vom Ausschuss müssen nachts im Wald aufpassen, den Frevlern nachgehen, bei denen man dann Hausdurchsuchungen macht.
1789/90 wird mit vereinten Kräften noch der neue Schulhausanbau geschafft und dann ist schon wieder Krieg und wieder die Franzosen im Lande, und erneut muss Fleisch, Hafer, Heu und Stroh geliefert werden. Die Bauern müssen Kriegsfuhren für die Kasselaner Truppen nach Kirchhain und für die Preußischen nach Butzbach machen, und für die Franzosen müssen Melchior Bauernfeind und Philipp Wehrum sogar bis nach Forchheim mit ihren Gespannen. Wieder gerät die Gemeinde in Schulden; beim Gerichtsschöffen Andreas Lindenstruth steht sie mit 450 Gulden in der Kreide, bei Ludwig Damm jun. Von Reiskirchen sogar mit 750; dabei ist die einzige größere Einnahme der Holzverkauf, und das bringt z. B. im Jahre 1789/90 ganze 621 Gulden. Die müssen für alles und das ganze Jahr lang reichen. Wir sehen aber, dass sie und mehr für Kriegskosten verbraucht werden. Deshalb geht Bersrod mit einer Schuld von 1850 Gulden beim Gerichtsschöffen Lindenstruth in das nächste Jahrhundert.
Im Jahre 1800 ist Wilhelm Hofmann Bürgermeister, Vorsteher sind Konrad Döring, Konrad Sommerlad und Philipp Hainbach. Der wichtige Mann in der Gemeinde aber ist Andreas Lindenstruth, der mit dem Pfarrer Wolf von Winnerod im Hader liegt. Zwischen allen Stühlen sitzt der Bersröder Lehrer Momberger; der Herr Pfarrer ist sein Vorgesetzter, die Gemeinde, sprich Lindenstruth, sein Brotgeber. Der Streit geht über Jahre; die Beschwerdeschrift der Gemeinde Bersrod gegen Pfarrer und Schulmeister ist uns erhalten und ein interessantes Zeitdokument.
Ein positiveres Ereignis ist die erste Pockenschutzimpfung, die für das Land sehr früh schon 1801 in Bersrod ausgeführt wurde und dieser gefährlichen, die Menschen mit hässlichen Narben verunstaltenden Krankheit endlich wirksam entgegenwirkte.
Über die Napoleonischen Kriege, über Durchzüge, Kosakeneinquartierungen und Kriegsgeschehen erfahren wir aus unseren örtlichen Quellen nichts. Nur mittelbar, durch die Einträge in die "Kriegsschadenrechnung" sehen wir, dass die Belastungen für die Menschen bei uns nicht geringer waren als im übrigen Oberhessen.
Im Übrigen fühlte man sich von dem Tyrannen Napoleon befreit und hoffte auf eine lange, gedeihliche Friedenszeit; der Dankgottesdienst nach der Völkerschlacht von Leipzig war überfüllt. Der Fortschritt war nicht zu übersehen; die alten Abgaben wurden beseitigt, Zehnt, Besthaupt und Bede verschwanden, sie wurden durch Ablösungen ersetzt, auch die alten, von Martini auf Martini amtierenden Bürgermeister verschwanden nun, seitem 1821 die neue Gemeindeordnung praktiziert wurde. Jetzt gab es eine gemeindliche Selbstverwaltung mit einem aus drei Kandidaten von der Kreisbehörde ausgewählten Bürgermeister. Er stand dem aus neun Mitgliedern bestehenden Gemeinderat vor. Die Mindesteinwohnerzahl von 400 wurde oft nur durch Zusammenlegungen erreicht, so kam nun Winnerod zur Bürgermeisterei Bersrod.
1835 wird auch der endlose Streit um die Baulast an der Winneröder (Pfarr-)Kirche durch einen fortan eingehaltenen Vergleich beendigt: Die Kreisräte von Gießen und Grünberg hatten die Vertreter beider Parteien nach Reiskirchen befohlen und "nach langer Sitzung" und "um nicht den Wechselfällen eines langwierigen und kostspieligen Proceßes" sich auszusetzen, übernehmen die Bersröder einen Kostenanteil von 30 Prozent. Für sie unterschreiben der Bürgermeister Lindenstruth und die Gemeinderäte Ludwig Hofmann II., Heinrich Becker, Balser, Damm, Ludwig Hofmann jr., Heinrich Bach, Johannes Graulich, Johannes Schwalb und Wilhelm Stroh.
Auch der Lehrer wird von dem ständigen Einmahnen seiner Sachbezüge endlich befreit, es gibt keine Schulscheiter mehr, keine Brotleibe, keine Sichlinge. Schon 1831 unterschreibt Bürgermeister Lindenstruth das "Verzeichniß über das Diensteinkommen der Schulstelle zu Bersrod, Inspectorats Grünberg" und 1849 endlich wird das Jahreseinkommen des Schulmeisters auf 370 Gulden festgesetzt.
Neu ist auch die Schule selbst, das neue Gebäude wird 1834 fertig gestellt und hält bis zum letzten Schulneubau 1912/13. Unser Bersrod hat (1830) 338 Einwohner; Pfarrer Ebel berichtet: "Sämtliche Ortsbürger gehören dem Bauernstand an, treiben sämtlich Ackerbau und einige zugleich im Winter Leinenweberey, 4 der dasigen Ortsbürger sind nebenbei Schneider, 3 Zimmerleute, 2 Schuhmacher, 2 Schmiede, 1 Mauerer, 1 Wagner, 1 Schreiner."
Der allgemeine wirtschaftliche Niedergang und die Not großer Volksteile in der Mitte des Jahrhunderts macht sich auch in unserer Gemeinde bemerkbar, wir sehen es an den schriftlich festgehaltenen Entschuldigungen der Katechismusschüler, wie sie der inzwischen in Winnerod aufgezogene Pfarrer Röschen festgehalten hat. Vier entschuldigen sich damit, dass sie keine Schuhe hätten, eine, dass ihr die Kleider fehlten und eine "wegen von geringer Nahrung herrührenden Schwäche". Hunger und Not treibt die Menschen aus der Heimat. Die große Auswanderungswelle nach Amerika setzt ein, die ersten beiden Auswanderer aus Bersrod waren 1851 die Schreinergesellen Caspar und Johannes Hofmann, im folgenden Jahr waren es schon 24 Menschen, die ihr Glück im Land der unbeschränkten Möglichkeiten suchen wollten und die lange, gefahrvolle Überfahrt der Segelschiffe nicht scheuten. Die Auswanderungswelle in die Vereinigten Staaten verebbte erst kurz vor 1870.
Nicht wenige, die nicht als "Fliegenwedelhändler" oder anderen Tand anbietend, versteckte Bettelei betreiben wollten, sind nach England, öfter noch nach Paris gegangen, wo es ganze Viertel armer Hessen gab, die meist als Straßenkehrer für geringen Lohn und unter erbärmlichen Umständen ihren Lebensunterhalt zu verdienen suchten. Als 1870 der Deutsch-Französische Krieg ausbrach, hatten sie vom Pariser Mob Übles auszuhalten, die meisten flüchteten zurück, auch aus Bersrod ein Dutzend, vornehmlich aus den Familien Sommerlad und Wehrum.
Andererseits waren in diesem Krieg 14 junge Bersröder einberufen worden, die mit den deutschen Armeen Paris erreichten; einer musste sein Leben lassen, vier wurden verwundet.
32 Haushaltungen werden 1877 gezählt, es gibt im Dorf 71 Kühe, 12 Ochsen, 40 Rinder, 117 Schafe, 104 Schweine und 6 Ziegen. Kein Pferd. Bürgermeister ist der tüchtige, wohl auch etwas eigenwillige Ludwig Wilhelm Böcher, der Ende 1874 für eine zweite Amtszeit gewählt wird. Die Verhältnisse bessern sich nun etwas, überall merkt man die moderne Zeit, die ersten Maschinen kommen in die Landwirtschaft, Fabrikarbeit nimmt immer mehr zu, Konfektionsbekleidung beginnt die alte Tracht zu verdrängen. In unserer Gemeinde aber geschieht nichts umstürzlerisches, die alte Ordnung bleibt unzerstört, das Neue wird ohne Erschütterung eingefügt, Pfarrer Röschen sieht überall ein ungebrochenes Verhältnis zur Kirche. 1890 erhält die Bersröder Kirche eine neue Orgel, das ganze Bauwerk wird bis 1893 renoviert. Das ist übrigens das Jahr jener extremen Trockenheit, die auch bei uns die Landwirte zwang, sogar ihre Milchkühe abzuschlachten.
Aber nicht nur Not gibt es, nicht nur saure Wochen, sondern auch frohe Feste. Das größte ist natürlich, wie in jedem Dorf, die jährliche Kirmes, aber das bleibt nicht das einzige und nun beginnen zunehmend die entstehenden Vereine die dörfliche Geselligkeit zu bestimmen. Als ältesten Bersröder Verein können wir den schon unter Bürgermeister Lindenstruth gegründeten "Mäßigungsverein" ansehen, dessen segensreiches Wirken der Pfarrer in der Chronik festhält. Er ist zur Eindämmung der überall überhand nehmenden Trunksucht gegründet worden. Der nächstälteste ist wohl der "rege Leseverein", der im Ort Zuspruch findet. Der zu seiner Zeit stärkste aber ist der 1894 gegründete Kriegerverein "Ernst Ludwig zur Treue". Im Juli 1896 hält er seine Fahnenweihe, nach Meinung der Zeitgenossen das größte Fest, das Bersrod je gesehen hatte. Festpräsident ist Lehrer Daab.
Er war für die Bersröder wohl ein Glücksfall, dieser Otto Daab aus Watzenborn. Seine guten Eigenschaften fielen besonders auf, weil er dem schlechten Lehrer Stiebling folgte, einer üblen Figur, einem Zuchthäusler. Lehrer Daab dagegen befruchtete das gesamte Gemeindeleben. Nun, in diesen Jahren, in denen sich überall Sangeslustige zusammenfanden, wurde zu Beginn des Jahres 1896 auf seine Initiative auch der Bersröder "Singverein" mit dem Namen "Sängerkranz" gegründet, zwei Jahre später erst gründete Lehrer Bürstlein in Reiskirchen die "Harmonie". Überall waren es die Volksschullehrer, die vorangingen, nicht nur im Vereinsleben, auch im Obstbau, in der Bienenzucht und vielen anderen Gebieten.
Nach der Versetzung des beliebten Lehrer Daab nach Lollar wird sein aus Geilshausen kommender Nachfolger Ferdinand Wilhelm Wolf 1901 Dirigent und zeigt bei der Feier zum 50-jährigen Amtsjubiläum von Pfarrer Röschen, was der Bersröder Sängerkranz kann. Einen Wechsel gibt es auch im Amt des Bürgermeisters; der 1892 ohne Gegenkandidaten gewählte Johann Jacob Böcher trat 1901 aus Altersgründen nicht mehr an und Heinrich Reuschling begann seine lange Amtszeit.
Das Jahr 1906 blieb den Bersrödern lange in Erinnerung: Am 16. Juni richtete ein Wolkenbruch schwere Feldschäden an, nachher gab es nicht mehr viel zu ernten. In der Kirche stand das Wasser über einen Fuß hoch. Zwei Jahre später wurde eine Kanalisation angelegt und eine aus Geilshausen gespeiste Wasserleitung.
1909 ist das Sterbejahr des Kirchenrats Röschen; in der Pfarre folgt ihn der gütige, intelligente Otto Hofmann, treibende Kraft zu dem ihn höchst nötig erscheinenden Schulhausneubau und deshalb nicht immer ganz einig mit dem Bürgermeister. Aber gebaut wird. Am 1. Juli 1912, zur Grundsteinlegung hat Lehrer Wolf in der einzumauernden Urkunde festgehalten, dass das Dorf jetzt 408 Einwohner hätte, die meist von der Landwirtschaft lebten; "die Bevölkerung ist zum Teil strenggläubig fromm" und ihr Charakter "mit wenig Ausnahmen ein guter". Im nächsten Jahre, am 21. September 1913 ist dann das große Ereignis der Einweihung, alle Reden, die gehalten, Gedichte, die vorgetragen und Lieder, die gesungen wurden, sind uns bekannt geblieben, so dass wir einen echten Einblick in das örtliche Milieu und die Denkungsart der Zeit gewinnen.
Pfarrer Hofmann hat als erster versucht, ein kleines Heimatmuseum einzurichten, das Räumchen der neuen Schule musste aber von Lehrer Wolf's Wohnung abgehen, so dass dieser widerstrebte. Das Material, ausgesuchte Stücke, ging fast ganz verloren.
Aber nun begann der Weltkrieg, der bislang größte, da sollten noch ganz andere Dinge untergehen, Leid und Kummer kam über das ganze Dorf, 18 Tote und Vermisste waren schließlich zu beklagen. Auch die Nachkriegszeit wurde schwer, im Dorf hungerte man zwar nicht, die kleinbäuerliche Landwirtschaft kam wieder sehr zur Geltung. Aber die Geldentwertung vernichtete alle, meist mühsam zusammengetragenen Ersparnisse; Arbeit und Verdienst gab es auch bald keinen mehr. 1923 sammeln die Bersröder Getreide und Kartoffel für ihren Pfarrer, der hätte sonst verhungern müssen, weil er für seinen Gehalt nicht mehr bekam. Da viele Maurer arbeitslos sind, enstehen im Dorf in der Mitte der Zwanziger Jahre etliche Neubauten, so nutzen sie ihre erzwungene Freizeit.
In Winnerod wird 1927 die Pfarre vakant und soll 20 Jahre unbesetzt bleiben. Pfarrer Schmidt aus Beuern hält den Gottesdienst in Bersrod. Man hat ein Harmonium gekauft und zur vorhandenen eine zweite Glocke bei Rincker in Sinn gießen lassen. Aus der 1930 durchgeführten Viehzählung sehen wir, wie sich die Leute durchzubringen wussten. Es gibt im Dorf 338 Stück Rindvieh und 390 Schafe. Ziegen so so viel wie noch nie, nämlich 73. Es gibt 1263 Hühner und 134 Gänse.
Das sind die dörflichen Gegebenheiten; die politischen, das Weltgeschehen, geht andere Wege. Bei der Reichstagswahl 1930 erhalten in der "Gemeinde Bersrod mit Winnerod" die Landwirte 93, die Socialdemokraten 86 und die NSDAP 22 Stimmen. Dagegen geben 1933 212 Wahlberechtigte ihre Stimme für die NSDAP ab und 54 für die Sozialdemokraten. Alle sieben Gemeinderatsmitglieder werden demnach von der NSDAP gestellt. Der alte Bürgermeister Becker bleibt aber bis zu seiner Pensionierung im Amt. Der Umschwung ist überall, etwas besonderes aber passiert nicht. Mit dem Beginn des Autobahnbaues, für das Dorf ein unerhörtes Ereignis, schwindet die Arbeitslosigkeit ganz. Die fremden Arbeiter bringen manchen Verdienst ins Dorf, wohl auch einige Unruhe und dass der Pfarrer den Schaden an der Sittlichkeit beklagt, wird wohl seine Gründe gehabt haben.
Aber um welchen Preis hat man den wirtschaftlichen Aufstieg erreicht! Mit Bangen erlebt man den neuen Kriegsausbruch, diesmal gibt es keine Begeisterung in der Gemeinde, die paar jungen Enthusiasten werden von den Alten belehrt, die den Schrecken noch erlebt haben. Mit den ersten Siegesmeldungen kommen auch die Todesnachrichten, am Ende sind es 34 junge Männer, die als Soldaten gefallen oder vermisst sind. Das Anrücken der Amerikaner erwartet man mit Bangen, aber als Erlösung. Es sollte gerade den Bersrödern noch einmal Kriegsschrecken bringen; während die Nachbarorte ohne nennenswerte Ereignisse besetzt werden, beschießen die Amerikaner am Abend des 28. März das Dorf mit Artillerie, drei Scheunen brennen, die Menschen sind in großer Angst, glücklicherweise bleibt es beim Sachschaden.
An die schweren Nachkriegsjahre, das Leid der Witwen, Evakuierten, Flüchtlinge und Vertriebenen hat man sich gerade in unserer Zeit, ein halbes Jahrhundert nach dem Geschehen, wieder erinnert. Als Bürgermeister wird zunächst Ludwig Stroh eingesetzt. Bei den ersten Gemeindevertreter-Wahlen nach dem Krieg am 20. 1. 1946 erhielten von 216 gültigen Stimmen: SPD 109 (3 Sitze), Christl. Landvolk 107 (2 Sitze), KPD und andere 0. Zum Bürgermeister gewählt wird Wilhelm Albach. Während Bersrod im Juli 1945 466 Einwohner zählt, darunter 61 Evakuierte, sind es am 30. April 1948 bereits 601. Aber jetzt, nach der Währungsreform, beginnt der Wiederaufbau und es geht überall voran; mit dem Wohnungsbau, aber auch mit dem Vereinsleben. Schon im November 1947 konnte der "Sängerkranz" wiedergegründet werden, dann auch der Sportverein. Das Bürgermeisteramt übernahm 1948 Richard Müller und versah es in der ganzen Aufbauphase bis zum Ende der gemeindlichen Selbstständigkeit. Als Voraussetzung für alle Dorferweiterung und die unumgängliche Umgehungsstraße wurde schon 1950/51 die Flurbereinigung durchgeführt. In der Folgezeit kletterte die Siedlung den Zolch und den Sonnenhang hinauf, zu den knapp 90 Wohnhäusern der Vorkriegszeit kamen 70 und später noch mehr Neubauten hinzu. Die Gemeinde baute Jahr für Jahr an Straßen, Kanalisation und Gemeinschaftseinrichtungen, so 1972 die Sport- und Kulturhalle.
Große Veränderungen im dörflichen Leben traten ein. Bersrod, das einmal ein Bauerndorf war, hatte 1971 keine Vollbauernstelle mehr. Der Wald, früher immer Bersrod's Reichtum, spielte im Gemeindeetat keine Rolle mehr. Und die Schule schwand ganz aus dem Dorf, als sie 1970 geschlossen wurde, hatte das Gebäude 58 Jahre als Schulhaus gedient. Schließlich, mit Beginn des Jahres 1977, verlor die Gemeinde ihre Selbständigkeit und kam gegen den nach Buseck tendierenden Willen der Mehrheit zur neu entstandenen Großgemeinde Reiskirchen.
Der gedeihlichen Entwicklung des Ortes ist die Verwaltungsmaßnahme nicht schlecht bekommen, Bersrod hat durch den neu gestalteten Dorfplatz viel gewonnen. In der heutigen Talstraße sind Fachwerkhäuser zu alter Schönheit wieder entstanden und überhaupt bietet es den Eindruck eines gepflegten, ansehnlichen Wohnplatzes. Ein Dorf, das seinen Charakter bewahrte und in dem in schöner Landschaft Menschen harmonisch zusammenleben können.
Unser Dorfname
Früher war “Kuckuck” der Spitzname für die Bersröder, die aber ganz offensichtlich Spaß verstehen. Sie haben nämlich in den Stein des Brunnens am Lindenplatz einen Kuckuck einmeißeln lassen und so allen Spöttern den Wind aus den Segeln genommen.
Evangelische Kirche
Die ältesten Schriftstücke, die in der Gemeinde Reiskirchen gefunden wurden, stammen aus Bersrod. Es handelt sich hier hauptsächlich um Rechnungen an die Kirche aus den Jahren 1575 - 1630. Sie galten seit über 80 Jahren als verschollen und waren zuletzt 1913 in einem von einem Pfarrer als Heimatmuseum eingerichteten Raum in der Bersröder Schule aufbewahrt worden. Der Pfarrer stieß seinerzeit mit dem Museum, dem ersten seiner Art im Raum Reiskirchen, auf wenig Gegenliebe und als er ein Jahr später starb, wurde leider nur ein Teil der von ihm gesammelten Dinge aufgehoben. Bei den geretteten Unterlagen waren auch die “Kastenrechnungen”, die 2002 an die Kirche zurück gegeben und ausgewertet wurden.